Als Energiebündel kam ich schon im Kindesalter um Bewegung, Sport und Action nur schwer herum. Als Einzelkind schenkten mir meine Eltern ihre maximale Unterstützung, mich so gut wie jede Sportart ausprobieren zu lassen. Dabei haben es mir Fußball und Tennis besonders angetan, sodass ich nach der Grundschule gern auf die Sportschule wollte. In der Spielposition als Stürmer hat sich schon in meinen jüngsten Zeiten herausgestellt, dass ich sehr nach Erfolg strebe und nur ungern meinen Mitspielern ein Tor gönne. Aufmerksam geworden auf meine Ausdauerfähigkeiten und den starken Siegeswillen, riet mir mein Trainer, mich mal bei einem Sichtungstest der Leichtathletik vorzustellen. Beim Probetraining mit 9 Jahren ließ ich über die Stadionrunde problemlos andere Kinder stehen und konnte die Trainer von meinem Talent überzeugen. Ab diesem Zeitpunkt nahm ich fast wöchentlich an sämtlichen Laufveranstaltungen in meiner Umgebung teil und ließ meine Pokal- und Medaillensammlung immer größer werden.
Es gab seitdem keinen einzigen Tag, an dem mich meine Eltern nicht begleitet, unterstützt oder beobachtet haben. Ich spürte nie das Gefühl von Druck oder Zwang; es war lediglich eine kompromisslose Hingabe, mir das zu geben, wofür mein Herz schlug. Vielleicht war dies schon der entscheidende Schlüssel zu meiner folgenden Karriere.
Ich war der klassische Durchschnittsschüler, der immer zuverlässig seine Aufgaben zur Zufriedenheit der Lehrer machte. Ein stabiler Notendurchschnitt von 2 -2,5 reichte mir vollkommen. Warum? Na, weil ich ja kein Arzt werden wollte, sondern Profisportler. Diese Einstellung hatte ich bereits in der 5. Klasse, welche ich auch jetzt zu jedem Zeitpunkt wieder vertreten würde.
Sportlich brachten mir diese Jahre eine super Grundausbildung in den weitaus meisten Disziplinen, die die Leichtathletik zu bieten hat. Das schulte meine athletischen Fähigkeiten, von denen ich jetzt wahrscheinlich am meisten profitieren kann. Mehrkampf machte mir viel Spaß, besonders die letzte Disziplin, der 1000-m-Lauf. Als Spätentwickler war ich zu dieser Zeit körperlich immer benachteiligt, doch dies ließ keine Zweifel an mich heran, mal später ein großer Sportler zu werden. Alles, was ich brauchte, war GEDULD.
""Lehrjahre sind keine Herrenjahre"": das traf in meinem Fall zu 100% zu. Nachdem ich meine Schulzeit auf der Sportoberschule in Dresden mit dem Realschulabschluss verließ, tauchte ich direkt in das Berufsleben ein. In meiner 3-jährigen Berufsausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel bei Sport Scheck lernte ich neben dem Beruf wichtige Erfahrungen für das Leben. Trotz meiner Vollzeit-Beschäftigung versuchte ich, so gut es mir möglich war, zu trainieren und mich weiter zu entwickeln. Überraschend konnte ich mich national über 2000m Hindernis von 2012 (17.Platz U18) bis in die Deutsche Spitze 2014 (Deutscher Meister U20) vorarbeiten. Für einen internationalen Start hat es leider damals noch nicht gereicht, da ich neben meiner beschränkten Trainingszeit auch körperlich noch nicht auf Augenhöhe mit der Konkurrenz lief. Nach abgeschlossener Ausbildung stand ich somit recht solide da und wollte mich in den kommenden Jahren gern intensiver dem Sport zuwenden. Schon vor der Ausbildung träumte ich davon, eines Tages den Beruf als Spitzensportler bei der Bundeswehr ausüben zu können, doch leider war dieser Traum noch etwas zu zeitig. Ich suchte verzweifelt nach Arbeitgebern, die mich als Sportler tolerierten sowie mich in meiner sportlichen Entwicklung unterstützen.
Die AOK PLUS als Gesundheitskasse in Sachsen & Thüringen glaubte an mich und errichtete mir eine Teilzeitstelle im Kundengeschäft. Mit 20h/ Woche konnte ich mich nun wieder 2x täglich beim Training blicken lassen und das tun, wofür ich brannte. Inzwischen war meine Jugendzeit vorbei und ich musste mich mit den Junioren in der U23 messen.
2000m Hindernis gefielen mir gut, doch 3000m Hindernis war noch ein aussichtsloses Ziel! Dies war der Grund, mich erst einmal von dieser Strecke zu distanzieren; währenddessen schulte mein Trainer meine Schnelligkeit, Ausdauer und Kraft. Mein Körper begann sich nun auch mal zu entwickeln und erwachsen zu werden.
Leider war dies eine schwierige Zeit für mich, geprägt von vielen kleinen Verletzungen sowie Trainingspausen durch Erkältungen. Da ich meine komplette Jugendzeit auf Arbeit oder dem Sportplatz verbracht habe, war dies der Zeitpunkt etwas Nachzuholen. Meine Professionalität war nicht so, wie sie hätte sein sollen, was sich auch in den Ergebnissen widerspiegelte. Es war mir eine kurze aber wichtige Lektion, die ich im Nachhinein nicht bereue - im Gegenteil, die hat mich einiges gelehrt. Gegen Ende dieser Jahre erreichte ich dann langsam die nationale Spitze in der Klasse der Erwachsenen und konnte gegen Ende meines 22. Lebensjahres entwicklungstechnisch endlich mit der Konkurrenz mithalten.
Beruflich konnte ich mich bei der AOK PLUS inzwischen zum Kundenberater und Sachbearbeiter weiter entwickeln und war somit ein festes Teammitglied einer Filiale.
Das Jahr 2019 war eines meiner schönsten Jahre, an die ich mich zurück erinnere. Nachdem ich frisch aus der U23 in die Erwachsenenklasse vorgedrungen war, konnte ich mir direkt meinen ersten Internationalen Einsatz bei der Hallen-Europameisterschaft in Glasgow über 1500m sichern. Mit etwas Glück lief ich ins Finale und wurde mit dem 7. Platz belohnt.
Den Rückenwind des Erfolges nutzte ich in den darauf folgenden Trainingslagern in Flagstaff/Arizona & Potchefstroom/ Südafrika. Durch diese Erfahrungen wusste ich auf einmal, wofür ich den ganzen Aufwand in meiner Kindheit und Jugendzeit betrieben habe und war bereit, alles zu tun, um weiter nach vorn zu kommen.
Ich begann die Freiluftsaison mit drei 1500-m-Rennen in persönlicher Bestleistung. Damit war ich zufrieden, wusste jedoch , dass es für die anstehende Weltmeisterschaft nicht reichen würde, da ich von der geforderten Qualifikationszeit noch drei Sekunden entfernt war.
Ich entsann mich meiner Jugendzeit und der damit verbundenen Freude am Hindernislauf (2000m Hi). Dies war für mich und meinen Trainer Dietmar Jarosch eine kleine Erleuchtung. Mit 6 Wochen spezifischer Vorbereitung stieg ich Mitte der Saison nach drei Jahren Abstinenz auf die 3000-m-Hindernis-Distanz ein. Bei den deutschen Meisterschaften am 03.08.2019 holte ich auf Anhieb meinen ersten Meistertitel bei den Aktiven. Gut zwei Wochen später gelang es mir, die geforderte Normzeit für die Weltmeisterschaft vom 27.09. bis 06.10.2019 in Doha/Qatar mit 8:27,52min zu unterbieten.
Damit bin ich, nach der Hindernislegende Hagen Melzer, der erste Dresdner seit 1987, der über diese Distanz an einer Weltmeisterschaft teilgenommen hat. Mit dem Ergebnis, dem 31. Platz, war ich nicht wirklich zufrieden, doch die Erfahrung nahm ich mit.
Die Wintermonate trainierte ich fleißig weiter, war im Januar wieder im Höhentrainingslager in Südafrika und hatte nur dieses eine Ziel im Kopf: ""OLYMPIA"".
Doch dann kam Covid und alles wurde anders, die Olympischen Spiele 2020 wurden um ein Jahr verschoben. Trotz der Verschiebung ließ ich keine Minute Verzweiflung an mich heran – warum auch? Ich hatte zusätzlich ein Jahr bekommen, mich noch besser auf meinen sportlichen Höhepunkt vorzubereiten. Ich trainierte fleißig in meiner Heimat weiter und hoffte wenigstens auf ein paar nationale Rennen in diesem Jahr.
Ich habe die seltsame Zeit außerdem genutzt, mir Gedanken über meine sportliche und berufliche Zukunft zu machen.
Seit der fünften Klasse träumte ich davon, eines Tages den Beruf Profisportler ausüben zu dürfen. Da es mir nicht möglich ist, von meinem Sport zu leben, war ich seit meinem Berufsabschluss zum Kaufmann im Einzelhandel (2015) bei der AOK PLUS als Kundenberater tätig. Diese duale Karriere tat mir vor allem in finanzieller, sportlicher und persönlicher Sicht sehr gut.
Nach 8 Jahren Berufserfahrung stellte ich mir die Frage, wo ich in den kommenden Jahren noch hin möchte. Ich sah mich ganz klar auf der Laufbahn in der internationalen Spitze. Mir wurde der Eintritt in die Sportfördergruppe der Bundeswehr gewährt, welcher es mir ermöglicht, mich zu 100% dem Sport hinzugeben und das zu tun, was ich am besten kann.
Am 12.07.2020, bei meinem Saisoneinstieg über 2000 m Hindernis, schrammte ich um nur eine Sekunde am Deutschen Rekord vorbei; dieser stammt aus dem Jahr 1988. Genau zwei Wochen später startete ich erneut bei einem Testwettkampf über 1500m und lief meine zweitschnellste Zeit in 3:39,70min. Zu guter Letzt fanden dann noch die Deutschen Meisterschaften unter besonderen Umständen statt.
Diese konnte ich über 3000m Hindernis souverän mit 6 Sekunden Vorsprung für mich entscheiden. Leider gab es im späteren Saisonverlauf keine weiteren Hindernisrennen mehr, wo ich meine gute Form hätte beweisen können.
Die Trainingswochen über die Wintermonate liefen gut, und somit ging ich bei einigen Hallenwettkämpfen an den Start. Zum Abschluss startete ich noch bei den Halleneuropameisterschaften in Torun (PL) über 1500m, wo ich leider schon im Vorlauf ausgeschieden bin.
Mit neuer Motivation ging es nun in Richtung Sommersaison.
Da ein Auslandstrainingslager nicht erlaubt waren, besuchte ich zweimal das Trainingszentrum Kienbaum. Top fit startete ich die Saison und konnte meine Bestzeit über 2000m Hindernis nochmals auf 5:25,64min verbessern. Somit fehlten mir leider noch 9 Hundertstel zum Deutschen Rekord über diese Distanz.
Als nächstes Highlight durfte ich Deutschland bei der Team EM im Polnischen Chorzow über 3000m Hi vertreten. Durch einen Sturz wurde ich leider nur 5. Platz in diesem Rennen. Eine Woche später zu den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig konnte ich dann meinen 3. Deutschen Meistertitel in Folge mit neuer persönlicher Bestzeit von 8:23,28min feiern.
Damit war klar: ich hatte ausreichend Punkte im World Ranking, um für die Olympischen Spiele nominiert zu werden. In Vorbereitung auf das bisher größte Rennen meiner Karriere fuhr ich für 3 Wochen in die Schweiz ins Höhentrainingslager. Meine Form war super und ich freute mich sehr auf das Erlebnis , was mich in Tokio erwartete. In Japan verbrachte ich mit der Nationalmannschaft noch 10 Tage zur Anpassung an die klimatischen Bedingungen.
Dann ging die Reise weiter nach Tokio in das olympische Dorf. Voller Euphorie und reizüberflutenden Eindrücken nahm ich mir vor, das Finale über 3000 m Hi zu erreichen; jedoch wusste ich, dass dies als Platz 45 der gemeldeten Starter sehr schwer wird, denn nur die besten 15 kommen weiter. Meine Form war super, und ich war mir meiner Stärken bewusst und hoffte auf ein Rennen nach meinem Geschmack.
Leider sah es in der Realität anders aus, denn das Rennen war über 10 Sekunden unter meinem Bestleistungsniveau. Ich lief selbstbewusst mit und versuchte mich in der Spitzengruppe zu halten. Nach 2000m waren meine Kräfte erschöpft und mein Kopf signalisierte mir: „es ist vorbei“; ich brachte das Rennen unzufrieden zu Ende und brauchte erst einmal Zeit, um es zu realisieren.
Diese Erkenntnis traf mich in diesem Moment schwer, aber es hat mir auch deutlich gezeigt, was in den kommenden Jahren zu tun ist. Aus diesem Grund beendete ich an dieser Stelle meine Saison und gab meinem Körper etwas Ruhe, um schon zeitnah da weiter zu machen, wo ich aufgehört hatte.
Nach den Olympischen Spielen ist vor den Olympischen Spielen, und somit suchten mein Trainer Dietmar Jarosch und ich gemeinsam nach neuen Anreizen, um weiter voran zu kommen. Dabei haben wir die Trainingsausrichtung recht deutlich umgestellt - in der Hoffnung, schon recht zeitnah neue Erfolge zu sehen.
Die Wintermonate verbrachte ich außerdem erstmals mit Trainingsbegleitung eines langjährigen Freundes Tim Koritz, der sich meinem Trainingsplan anschloss.
Wie jedes Jahr nahm ich die Hallensaison wahr, mit dem Unterschied, sie dieses Mal als Überprüfung der neuen Trainingsstruktur zu nutzen. Überraschend konnte ich mit wenig spezifischer Vorbereitung neue Bestzeiten über 800m und 1500m aufstellen und entschied mich in diesem Jahr, über 800m bei den Deutschen Hallenmeisterschaften an den Start zu gehen. Zum Abschluss meiner Hallensaison belohnte ich mich schließlich mit dem Vize-Titel über diese Unterdistanz.
Da Reisen wieder möglich war, entschied ich mich zu einer neuen Trainingsstruktur, verbunden mit einer sogenannten Höhenkette. Darunter kann man sich eine Aneinanderreihung von Höhentrainingslagern im 3-4-Wochen-Rhythmus bis zum Saisonhöhepunkt vorstellen. Somit verbrachte ich bis zum Saisoneinstieg 2x 3 Wochen auf 1350m Höhe im sommerlichen Potchefstroom/ Südafrika.
Die Saison startete wie gewöhnlich mit einem schnellen 1500m Rennen, gefolgt von meinem ersten Hindernisrennen bei einem Gold Meeting im Tschechischen Ostrava.
Obwohl ich auf Anhieb die geforderte Normzeit zur Europameisterschaft unterbieten konnte, war ich nicht wirklich glücklich mit meiner Leistung. Vielleicht waren es meine zu hohen Anforderungen oder das neue Training, was noch fruchten musste.
Ich brachte die erste Saisonhälfte mit gemischten Gefühlen zu Ende und fuhr anschließend in das nächste 14-tägige Trainingscamp nach St. Moritz, um mich da auf die Deutschen Meisterschaften vorzubereiten. Zwischenzeitlich lief mein größter nationaler Konkurrent Frederik Ruppert eine Zeit, bei der mir fast der Atem weg blieb. Das war hart für mich, aber in diesem Moment wahrscheinlich genau das richtige, was ich brauchte.
In dieser Zeit spürte ich endlich die ersten Erfolge des neuen Trainingssystems, und ich reiste selbstbewusst an den Ort, wo vor 4 Jahren alles begann: ins Olympiastadion nach Berlin.
Ich stand vor zwei riesigen Herausforderungen:
Ich war topfit und ging selbstbewusst in das Rennen. Da kein anderer an einem schnellen Rennen interessiert war, musste ich es im Alleingang versuchen, entschied mich jedoch nach Hälfte des Laufs um und lief auf Sieg. Mit Erfolg, ich konnte meinen 4. Meistertitel in Folge gewinnen, aber verfehlte somit die direkte Qualifikationsnorm zur WM.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge nahm ich die nicht Teilnahme an der Weltmeisterschaft entgegen, bis ich eines Morgens den Anruf zur Nachnominierung erhielt. Ich war fit und hatte Lust auf ein gutes Rennen im Leichtathletik Land USA, also packte ich meine Koffer und reiste mal schnell um die halbe Welt. In einem taktisch klugen Vorlauf konnte ich meine Erkenntnisse der letzten 3 Jahre anwenden und lief von Platz 45 auf Platz 21 in der Welt. Mit einer weiteren Saisonbestzeit in einem schwierigen Rennen ging ich zum ersten Mal mit einem positiven Gefühl aus einer Meisterschaft. Auch wenn ich dieses Mal wieder knapp den Finaleinzug verpasst habe, konnte ich endlich spüren, wie es sich anfühlt, mit der Weltspitze mitzulaufen.
Nach der WM ist vor der EM, also hieß es für mich weitere 3 Wochen hartes Training um vielleicht noch ein paar Prozent für den Jahresabschluss raus zu holen. In meinem 4. Höhentrainingslager in dieser Saison reiste ich wieder mal in die Schweiz (St. Moritz), wo sich die halbe Weltelite traf um sich vorzubereiten.
Die Aufregung auf die Europameisterschaft in München war nicht mehr in Worten zu beschreiben, trotzdem versuchte ich mich voll auf mich zu konzentrieren, um meine ganze Erfahrung der letzten Jahre einzusetzen. Dies gelang mir mit Erfolg, den Vorlauf überstand ich souverän als 2. Platz und zog somit sicher ins Finale ein. Auf einmal öffnete sich eine komplett andere Welt für mich als ich sah, was alles möglich ist, und ich nutze die verbleibende Zeit zum Finale, um mich intensiv auf jedes Rennszenario vorzubereiten. Es gelang mir den 5. Platz in Europa zu erlaufen, auch wenn ich knapp die Medaillenränge verpasste, war es mit Abstand das für mich beste Ergebnis auf der internationalen Ebene, womit ich mehr als zufrieden war.
Mit dem Rückenwind und der guten Form lief ich in den folgenden Wochen noch einige Rennen auf der Mittelstrecke und konnte da noch meine Bestzeiten über 800m und 1500m verbessern. Eine Saison die mir für immer in Erinnerung bleiben wird.